Das Geschichten Wiki
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Am nächsten Tag wurde sie durch einen Pfotenstups geweckt. Erst dachte Kylie, es wäre Rennpfote, aber als sie die Augen aufschlug, stand Krähenfeder vor ihr. Müde sah sie sich um. Rennpfote und Eulenpfote lagen beide nicht mehr in ihren Moosbetten. „Los, steh auf! Du hast lange genug geschlafen!“ Unsanft fuhr er ihr mit seinem Schwanz übers Gesicht. Kylie musste niesen und stand kurz darauf auf den Beinen. Ohne sich noch einmal zu vergewissern, ob sie ihm auch folgen würde, marschierte er nach draußen. Grummelnd folgte sie ihm. Die Sonne stand schon höher am Himmel, als sie erwartet hatte. Krähenfeder führte sie mal wieder an den Bach, der die Grenze zum Donner-Clan darstellte. „Heute werden wir das Jagen üben. Ich denke, dass du viel länger als einen Mond brauchen wirst, um dir deinen Kriegernamen zu verdienen. Bei der Show, die du gestern abgezogen hast!“ „Du bist mir ja ein toller Mentor. Normalerweise sollten sie ihre Schüler ermutigen und nicht runter machen!“, knurrte Kylie wütend. Seine hochnäsige Art ging ihr langsam wirklich auf die Nerven. „Wenn ich dir sage, dass du das in einem Mond hinbekommst, dann würde ich lügen. Und ich lüge normalerweise keine Schüler an! Selbst dann nicht, wenn sie von Hauskätzchen abstammen“, konterte er. „Wenn du Hauskätzchen nicht leiden kannst, dann ist das nicht mein Problem! Du wirst dich wohl damit abfinden müssen, mit einem deine Zeit zu vergeuden“, schnaubte sie. „Aber ich bezweifle, dass das der einzige Grund ist, warum du dich so verhältst. Ich wette, Federschweif ist der andere Grund! Nur weil du dich nicht damit abfinden kannst, dass sie gestorben ist, musst du deinen Frust nicht an anderen auslassen!“ Die letzten Worte hatte sie ihm schon fast ins Gesicht gespien. Und kaum hatten sie ihren Mund verlassen, bereute sie schon, was sie gesagt hatte. Krähenfeder sah sie geschockt an. In seinen Augen spiegelten sich Trauer und Schmerz. Doch dann fingen sie vor Wut förmlich an zu glühen. „Wenn du mir bis zum Ende des Tages nicht mindestens ein Kaninchen gefangen hast, werde ich zu Kurzstern gehen und ihm sagen, dass du Vegarier bist, oder wie das heißt. Und ich werde ihm erzählen, dass du dich weigerst, Frischbeute zu essen! Dann wird er dich aus dem Clan werfen und du kannst schauen, wo du bleibst!“ Er fauchte sie noch einmal an, dann wirbelte er herum und sauste den Bach entlang. Kylie fühlte sich schrecklich. Was sollte sie denn jetzt machen? Sie wollte nicht, dass er traurig war. Sie blieb einen Moment wie erstarrt stehen und folgte dann seinem Geruch. Es gab bisher nur zwei Katzen aus dem Wind-Clan, die sie am bloßen Geruch erkennen konnte: Rennpfote und Krähenfeder. Sie lief eine ganze Weile, bis sie ihn endlich an einer Bachbiegung erkennen konnte. Er saß mit dem Rücken zu ihr, den Schwanz um seine Pfoten gelegt und starrte auf das Wasser. Unsicher blieb Kylie stehen und betrachtete ihn. Schließlich nahm sie all ihren Mut zusammen und ging zu ihm. „Krähenfeder…“, überrascht hielt Kylie inne. Ihre Stimme klang ziemlich hoch und piepsig. Sie räusperte sich leicht und fing dann nochmal an. „Ich … es tut mir leid! Ich wollte nicht so gemein sein. Ich weiß, wie viel sie dir bedeutet hat!“ Kylie hielt inne. Krähenfeder hatte keine Regung gezeigt und starrte immer noch auf das Wasser. Sie setzte sich neben ihn und fuhr nervös die Krallen aus und ein. „Weißt du, ich hab` sie gesehen. Sie hat mir gesagt, dass ich dir etwas ausrichten soll“, flüsterte Kylie. Ruckartig wandte er ihr den Kopf zu. Doch Kylie konnte ihm nicht in die Augen sehen. „Sag ihm, er soll sein Leben weiterleben und aufhören zu trauern. Das hat sie gesagt.“ Kylie schwieg und schaute auf ihre Pfoten. Sie hielt die Luft an und wartete ab. Würde er jetzt weglaufen, wie in den Büchern, als Blattsee ihm fast dieselbe Nachricht gebracht hatte? Aber er blieb sitzen, sah sie noch eine Weile an, bevor er wieder aufs Wasser starrte. Kylie wusste nicht, wie lange sie da schon Seite an Seite gesessen hatten, als er plötzlich murmelte: „Das ist gar nicht so einfach.“ Sie konnte deutlich den Schmerz aus seiner Stimme hören. „Ich weiß“, flüsterte sie. Sie wollte ihm tröstend eine Hand auflegen, als ihr auffiel, dass sie ja gar keine Hände mehr hatte. Deshalb strich sie ihm vorsichtig mit dem Schwanz über die Schulter. Er wandte ihr wieder den Kopf zu. Diesmal sah sie ihm in die Augen. Dazu musste sie leicht den Kopf heben, da er ein bisschen größer war als sie. Seine Augen erinnerten sie an die Tiefen der See. Man konnte sich darin ganz leicht verlieren. Plötzlich fing ihr Herz schneller an zu schlagen. Sie hörte das Plätschern des Baches nur aus weiter Ferne. Das Einzige, was es in diesem Moment noch gab, waren diese wunderschönen blauen Augen. Nach einer halben Ewigkeit fragte er schließlich: „Was ist eigentlich ein Vegarier?“ Kylie brauchte einen Moment, bis die Frage zu ihr durchgedrungen war. Sie wandte den Blick ab und schnurrte belustigt. „Es heißt Vegetarier.“ „Und was ist das nun?“ „Wolltest du mir nicht zeigen, wie man jagt?“, wich sie seiner Frage aus. Je weniger sie über Menschen redete, umso weniger konnte er ihr nachsagen, ein Hauskätzchen zu sein. „Also gut, ich kann es ja Mal versuchen“, neckte er sie. Er drehte sich um und ließ sich in Kauerstellung fallen. Dann schob er sich, seinen Bauch an den Boden gedrückt, langsam und leise vorwärts. „Wir müssen uns gegen den Wind anschleichen, dann kann uns unsere Beute nicht riechen und umso leichter ist es sie zu fangen“, erklärte er. Kylie tat es ihm gleich und schlich sich geduckt am Boden entlang. „Sehr gut“, sagte er. Das war das erste Lob, das sie von ihm bekommen hatte. „Jetzt versuche Witterung aufzunehmen. Du musst dich unbemerkt an deine Beute anschleichen und den richtigen Moment abwarten um dich auf sie zu stürzen. Versuch es Mal!“ Kylie hielt die Nase in den Wind und schnupperte. Da konnte sie den Geruch einer Maus ausmachen. Langsam schlich sie vorwärts. Sie konnte sie spüren und bald darauf auch sehen. Die Maus kauerte vor einer Nuss und nagte daran herum. Kylie schlich sich langsam von hinten an. Sie streckte ihr Hinterteil leicht in die Höhe und machte dann einen Sprung in die Luft. Die Maus bemerkte sie zu spät und kurz darauf war sie unter Kylies Pfoten gefangen. Verängstigt quiekte die Maus auf. Kylie sah zu ihr herab. Sie spürte das kleine Herz unter ihren Pfoten schlagen und konnte sich einfach nicht dazu durchringen, es für immer zum Stillstand zu bringen. Schnell nahm sie die Pfote weg und sofort verschwand die Maus im Unterholz. „Was war das denn? Erst fängst du die Maus und dann lässt du sie wieder laufen?“, Krähenfeder hatte seinen üblichen Ton zurückerlangt. „Ich kann sie doch nicht einfach umbringen! Sie hat Familie!“, rief Kylie aus. Wenn ihre Eltern sie schon nicht mehr sehen konnten, dann sollten wenigstens die Mäuseeltern ihr Kind zurückbekommen. „Beim Sternen-Clan! Wir haben auch Familie und wenn wir ihr nichts zu Essen bringen, dann verhungert sie!“ „Nein“, gab Kylie trotzig zurück. „Es gibt nämlich noch andere Katzen, die jagen und somit Essen nach Hause bringen!“ „In der Blattleere kommt es auf jedes Tier an, dass wir fangen!“ „Es ist aber nicht Blattleere!“ „ Du kannst nicht einfach eine Maus entwischen lassen mit der Ausrede, sie hat Familie. Wir müssen uns zuerst um unsere Familie sorgen! Ist dir eine  Maus ernsthaft wichtiger als dein Clan? Dann kannst du gleich wieder gehen!“ Ok, diese Runde ging an Krähenfeder. Seufzend gab Kylie nach. „Du hast ja Recht, es tut mir leid! Aber in diesem Moment konnte ich einfach nur daran denken, dass es jemanden gibt, der diese Maus liebt und sie nie wieder sehen sollte.“ „Glaubst du etwa, Mäuse können denken?“ „Warum sollten sie nicht denken können?“ „Wenn Mäuse schlau wären, dann würde keine von ihnen als Frischbeute enden!“ „Genauso gut könnte man behaupten, dass Katzen dumm sind, weil sie sich aus ihrem Zuhause haben vertreiben lassen, ohne sich zu wehren.“ „Das ist was anderes. Wir hatten keine Chance! Die Menschen hatten Monster und waren viel stärker als wir!“ „Das ist dasselbe! Wir sind viel stärker als die Mäuse, sie haben nicht den Hauch einer Chance gegen uns!“ Krähenfeder schwieg. „Ha! Zwei zu eins für mich!“ rief Kylie triumphierend. „Zwei zu eins für dich? Wenn dann schon eins zu eins!“ „ Nein, wenn man das von vorhin mitzählt, als du weggelaufen bist, dann zwei zu eins.“ „Das zählt nicht!“ „Doch!“ „Nein!“ „Doch!“ „Nein!“ „Was ist denn hier los?“, fragte auf einmal eine dritte Stimme. Krähenfeder und Kylie wirbelten herum. Vor ihnen stand Spinnenfuß mit seinem Schüler Rennpfote und Nachtwolke. Er starrte die beiden verständnislos an. Krähenfeder winkte ab und sagte: „Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit.“ Kylie machte den Mund auf, um etwas zu erwidern, doch er fuhr ihr mit dem Schwanz darüber, um ihr zu bedeuten, ruhig zu sein. Sie klappte den Mund wieder zu. „Und was macht ihr hier?“, fuhr Krähenfeder fort. „Nun ja, wir sind für die Abendpatrouille eingeteilt und dann haben wir eure Stimmen gehört. Ihr wart ziemlich laut und wir dachten, dass wir angegriffen werden oder so. Aber wie ich sehe, habt ihr euch nur gegenseitig angegriffen“, stellte Spinnenfuß fest. Es ist schon Abend? Verrückt, wie schnell die Zeit vergeht!, überlegte Kylie. „Wir sind jetzt aber fertig“, erklärte Krähenfeder. „Wir sind auch fertig, ihr könnt ja mit uns zum Lager zurück kommen“, bot Nachtwolke, mit einem Blick auf Krähenfeder, an. Er willigte ein und im Schein der untergehenden Sonne machten sich die fünf Katzen auf den Weg zurück ins Lager.

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